Herr Angermayr, Sie arbeiten nicht nur gesprächs- sondern auch körperpsychotherapeutisch. Inwiefern ist das von Bedeutung in Bezug auf Angststörungen?
Markus Angermayr: Die Auseinandersetzung mit dem Körper ist gerade bei Angststörungen besonders wichtig. Denn viele Menschen erkennen die Angst zu Beginn nicht als solche. Sie kommen in die Therapie und klagen über Herzrhythmusstörungen, innere Unruhe oder Schwitzen und glauben, sie sind körperlich schwer krank.
Wo setzen Sie an, wenn ein Klient mit diesen Symptomen zu Ihnen kommt?
Angermayr: Zuerst geht es darum ärztlich abzuklären, dass es sich um keine körperliche Erkrankung handelt, sondern dass Ängste im Hintergrund stehen. Die Tatsache, dass sich diese so deutlich körperlich zeigen, macht es leichter, auch auf körperlicher Ebene einzuwirken. Dabei geht es darum, Techniken der Selbstberuhigung und Entspannung zu erlernen.
Was heißt das konkret?
Angermayr: Nehmen wir das Beispiel der Panikstörung: Wer richtig ein- und ausatmet, kann keine Panik bekommen. Um den Körper zu beruhigen, ist es günstig, die Ausatmung zu verlängern. Manchen Menschen hilft es, beim Ein- und Ausatmen mitzuzählen. Das aktiviert den Parasympathikus, unser „Entspannungssystem“. Kurzes, hechelndes Atmen führt regelrecht in die Panik hinein. Helfen können aber auch Erdungsübungen oder bewusstes Stampfen oder Ausschütteln, um eine Entladung der Emotionen herbeizuführen. Mir ist wichtig hinzuzufügen, dass es sich dabei um Techniken handelt, um die Angst im Akutfall herunter zu regulieren – eine Art Werkzeugkasten für einen besseren Umgang mit den starken Gefühlen. In einer längeren Therapie würde man sich selbstverständlich auch den Ursachen der Angst widmen.
Hätten Sie ein Beispiel aus Ihrer Praxis?
Angermayr: Ich hatte vor längerer Zeit einen Klienten, der aufgrund von Flugangst zu mir kam. Er war beruflich gesettelt und verheiratet. Zu Beginn seiner Beziehung hatte er seiner Frau versprochen, einmal gemeinsam nach Kanada zu fliegen. Als die Sache konkret wurde, merkte er: Ich traue mich nicht. Er fühlte sich daraufhin sehr schlecht, hatte Schuldgefühle und wünschte sich, es zu schaffen. Das war die Situation, in der er zu mir kam. Wir erarbeiteten zuerst einen Notfallkoffer mit Atemtechniken sowie mit medikamentöser Unterstützung für den Ernstfall. Im Anschluss begann ich ihn behutsam mit der beängstigenden Vorstellung des konkreten Fluges zu konfrontieren.
Konnte der Klient das denn aushalten?
Ja, allerdings nur nach langer Vorarbeit und auf Basis einer guten Beziehung zwischen uns. Er begann, sich das Ganze in immer mehr Detail vorzustellen – den Ausfall des Motors und der Triebwerke, das tiefer Sinken, etc. Daraufhin konnte ich ihn fragen, was er in dieser Situation in seiner Vorstellung tun würde. Er antwortete, dass er die Hand seiner Frau nehmen und in aller Kürze nochmals Rückschau auf sein bisheriges Leben halten würde. Erstaunlicherweise fand er dieses innere Bild – in all seiner Tragik – auch berührend. Und er konnte sagen: Das ist ein Ende, das für mich in Ordnung ist. Ich kann es aushalten. Hinter vielen Ängsten stehen existenzielle Themen. Dieser Mann hat es übrigens geschafft, mit seiner Frau nach Kanada zu fliegen, und er war sehr glücklich darüber.
Es klingt so, als wären Sie hier auf eine tiefere Dimension menschlicher Ängste gestoßen – wie begegnen Sie dem im psychotherapeutischen Setting?
Angermayr: Tatsächlich haben wir alle mehr oder weniger mit unserem „Geworfen-Sein“ in die Welt zu kämpfen. Manche von uns spüren die existenzielle Unbehaustheit mehr, manche weniger. Nichts im Leben ist zu 100 Prozent sicher. Das auszuhalten ist gar nicht so leicht. Das führt in eine spirituelle Tiefe. In der Therapie geht es darum, einen pragmatischen Umgang damit zu finden.
Was bedeutet das konkret?
Angermayr: Menschen, die zu Ängsten neigen, können lernen, sich auf Haltgebendes zu fokussieren, sei es Strukturen, die sie umgeben oder auch die eigenen Fähigkeiten. Wo bzw. wem kann ich vertrauen, was kann ich gut – das sind heilsame Fragen. Manchmal hilft es auch, sich auf positive Kleinigkeiten im Alltag zu besinnen. Denn es ist immer irgendetwas da, das Halt gibt, Stichwort Präsenz.
Hätten Sie da ein Beispiel?
Angermayr: Mir fällt dazu eine kleine Geschichte ein, die Buddha erzählt haben soll: Ein Mann wird von einem wilden Tiger verfolgt. Er läuft davon so rasch er kann. Nach einiger Zeit kommt er an einen Abgrund. Er fällt hinunter, hält sich aber gerade noch an einer Wurzel fest. Als er in den Abgrund blickt, sieht er, dass dort ein zweiter Tiger lauert. Die Situation scheint ausweglos. In dem Moment, bemerkt der Mann, dass neben ihm eine Erdbeere an einem Strauch hängt. Er pflückt sie uns isst sie. Voller Freude stellt er fest, dass er noch nie eine so süße Beere gegessen hat. So kann es einem im Moment der größten Angst gehen, wenn es gelingt, ganz in die Präsenz zu kommen. Freude und Humor sind die stärksten Gegenmittel!
Selbsttest zur schnellen Erfassung von allgemeiner Ängstlichkeit*
Ängste, Sorgen und/oder innere Unruhe treten hin und wieder bei jedem Menschen auf. Wenn diese jedoch alltäglich vorhanden sind oder sogar das Leben dominieren, liegt unter Umständen eine Angststörung vor.
Mithilfe des vorliegenden kurzen Selbsttests können Sie eine erste Einschätzung Ihrer aktuellen allgemeinen Ängstlichkeit vornehmen.
Bitte beantworten Sie die folgenden 7 Fragen des kurzen Selbsttests so genau, wie möglich.
Bitte beachten Sie hierbei:
Dieser kurze Online-Selbsttest zur ersten Einschätzung eventuell erhöhter allgemeiner Ängstlichkeit ersetzt keinerlei eine ärztliche Untersuchung oder eine exakte fachärztlich-psychiatrische Diagnose und stellt lediglich einen Anhaltspunkt dar.
Ob Sie tatsächlich an einer behandlungsbedürftigen Angststörung leiden, kann nur ein Arzt oder eine Ärztin zuverlässig feststellen. Wenden Sie sich hierzu bitte an einen Facharzt/eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin bzw. Ihren Hausarzt/Ihre Hausärztin, wenn eine direkte fachärztlich-psychiatrische Vorstellung nicht möglich ist.
mit freundlicher Unterstüzung von
Dr.med.univ. et scient.med. Lucie Bartova (MD PhD)
Fachärztin für Psychatrie und psychotherapeutische Medizin
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Keine Angst vor der Angst:
Wie Social Media zur Enttabuisierung von Angststörungen beiträgt