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Mit der Angst
leben lernen

Ängste und Angsterkrankungen besser verstehen

Keine Angst vor der Angst:
Wie Social Media zur Enttabuisierung von Angsterkrankungen beiträgt

In den letzten Jahren ist auf Social Media eine zunehmende Präsenz von Inhalten über psychischen Erkrankungen, insbesondere Angsterkrankungen und Depressionen, zu beobachten. Was von einigen als „Trend“ abgetan wird, ist in Wahrheit ein bedeutender Schritt in Richtung Enttabuisierung und Aufklärung. Viele Influencer*innen nutzen ihre Reichweite, um offen über ihre eigenen Erfahrungen mit Angsterkrankungen und Depressionen zu sprechen. Dadurch geben sie nicht nur Betroffenen eine Stimme, sondern fördern auch das gesellschaftliche Verständnis für diese oft unsichtbaren Erkrankungen.

Die Unsichtbarkeit der Angst

Psychische Erkrankungen sind nicht immer sichtbar, und genau das macht sie für viele so schwer zu begreifen. Wiebke Schenter, auf Instagram bekannt als @piepmadame, spricht offen über ihre Erfahrungen mit Depressionen und beschreibt dieses Dilemma treffend: „Richtig schwierig wird es für mich dann, wenn gesagt wird, dass Depressionen im echten Leben ganz anders aussehen als es Influencer*innen auf Instagram darstellen... Als es mir schlecht ging, hatte ich keine Kraft, die Kamera draufzuhalten.“ Dieses Statement verdeutlicht ein zentrales Problem: Psychische Erkrankungen werden oft missverstanden oder als weniger schwerwiegend abgetan, wenn sie nicht den Vorstellungen entsprechen, die Außenstehende haben.

Schenter spricht auch einen weiteren wichtigen Aspekt an: Wenn Betroffene ihre Erkrankung nicht dokumentieren, wird ihnen vorgeworfen, nicht wirklich betroffen zu sein. Doch sobald sie versuchen, ihre Gefühle und Erfahrungen zu teilen, wird ihnen unterstellt, sie inszenierten sich. Gerade dieser Zwiespalt zeigt, dass das Zeigen von psychischen Erkrankungen auf Social Media ein wichtiger Schritt ist, um Missverständnisse und Vorurteile aufzulösen.

Panik, die plötzlich zuschlägt

Die österreichische Autorin und Content Creatorin Astrid Aschenbrenner, bekannt als @wienerkind, beschreibt ihre persönlichen Erfahrungen mit Panikattacken: „Ich würde mich nicht als ängstliche Person bezeichnen. Und trotzdem hat mich die Panik überrannt. Mehrmals.“ Durch das Teilen ihrer Geschichte macht Aschenbrenner sichtbar, wie schwer es sein kann, mit der Angst umzugehen, selbst wenn man sich eigentlich nicht als ängstlich wahrnimmt, denn Angsterkrankungen können jede*n treffen, unabhängig von der äußeren Lebenssituation oder dem persönlichen Charakter. Sie liefert zugleich aber auch eine wichtige Botschaft an ihre Follower*innen: „Es gibt einen Weg raus aus der Angst.“ Der Weg zu mehr psychischer Gesundheit ist zwar herausfordernd, aber möglich.

Gemeinsam gegen das Schweigen

Die Enttabuisierung psychischer Erkrankungen erfordert nicht nur mutige Einzelpersonen, die über ihre eigenen Erfahrungen sprechen, sondern auch eine gesellschaftliche Bereitschaft, diese Themen ernst zu nehmen. Genau hier zeigt sich der unschätzbare Wert von Social Media: Es bietet eine Plattform, auf der Menschen ihre Geschichten erzählen und sich gegenseitig ermutigen können. Das Offenlegen von Erfahrungen mit Angsterkrankungen ermöglicht es Betroffenen, sich nicht mehr alleine zu fühlen, während zugleich die breite Öffentlichkeit über die Vielfalt und Komplexität dieser Erkrankungen aufgeklärt wird.
Die Schriftstellerin Jaqueline Scheiber (@jaquelinescheiber) sagt dazu treffend: „Atme. Du bist nicht allein damit.“

Keine Angst vor der Angst

Das wachsende Bewusstsein für mentale Gesundheit auf Instagram und anderen Plattformen verdeutlicht einen tiefgreifenden Wandel im Umgang mit psychischen Erkrankungen. Menschen wie Wiebke Schenter, Astrid Aschenbrenner und Jaqueline Scheiber tragen durch das Teilen ihrer persönlichen Geschichten dazu bei, das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Sie helfen dabei, die vielfältigen Facetten von Angsterkrankungen und Depressionen verständlich zu machen und erinnern daran, dass hinter jedem Bild und jeder Erzählung echte Menschen mit realen Emotionen stehen. Diese Offenheit ist entscheidend für die Enttabuisierung von Angsterkrankungen und Depressionen und leistet einen wertvollen Beitrag zur Aufklärung und Entstigmatisierung. Die Botschaft ist klar: Angst und Depressionen sind reale, belastende Erkrankungen, die jede*n treffen können. Doch ebenso klar ist: Es gibt einen Weg aus der Angst – und niemand muss ihn allein gehen.

Keine Angst vor der Angst.

Folge deiner Angst

Eine Frau mit einem übergroßen Leiterwagen-artigen Gefährt, das sie vor sich herschiebt oder zieht. Die Frau ist Angela Maxwell, ihr Ziel, die Umrundung der Erde. Zu Fuß. Über vier Jahre lang war die 40-jährige US-Amerikanerin unterwegs – von Australien, quer durch Asien und Europa bis zurück in ihre Heimat, den US-Bundesstaat Oregon. Alles, was sie zum Leben braucht, befindet sich auf dem kleinen Transportwagen. Was kaum bekannt ist, auch Maxwell kennt übersteigerte Ängste aus eigener Erfahrung – es sind soziale Ängste, die sie immer wieder beschäftigen.
Bereits 1966 bezeichneten die beiden englischen Psychiater und Verhaltenstherapeuten Isaac Marks und Michael Gelder die spontan in sozialen Situationen auftretende Angst als „soziale Phobie“. Bis heute wird diese Diagnose unter den Angsterkrankungen im Vergleich zu Panikattacken eher unterschätzt. „Ein Grund dafür ist, dass sich soziale Ängste extrem gut verstecken können“, weiß der auf Ängste spezialisierte Psychotherapeut Hans Morschitzky aus Linz. Selbst die Betroffenen wissen oft über viele Jahre nicht, wo ihre Schwierigkeiten liegen. Dabei könnte ihnen ihr Verhalten Aufschluss geben. „Menschen mit sozialen Ängsten versuchen Gruppensituationen immer mehr auszuweichen. Diese sind auch sehr anstrengend für sie“, erklärt der Therapeut. Häufig stünde dahinter das Bedürfnis, um jeden Preis Kritik zu vermeiden und nicht negativ aufzufallen. Als Resultat ziehen sich Betroffene immer mehr zurück und laufen Gefahr, in die Depression abzurutschen.
Morschitzky hat ein 10-Schritte-Programm entwickelt, das helfen soll, soziale Ängste zu verringern und Situationen mit anderen Menschen wieder freudvoll erleben zu können. Dazu zählen die Änderung eingeschliffener Denkmuster genauso wie gezielte Aufmerksamkeitslenkung. Auch Angela Maxwell hat sich viele dieser Dinge angeeignet. Nicht zuletzt hat sie sich am Ende ihrer Reise mutig ihren Symptomen gestellt und einen vielbeachteten TED-Talk in Edinburgh abgehalten. Wir haben nachgefragt, was sie auf ihrem Weg geprägt hat – und wie sie heute mit ihren Ängsten umgeht.
  • Ms. Maxwell, als Sie im Mai 2014 Ihre große Reise antraten, ließen sie vieles hinter sich: Ihre erfolgreiche Arbeit als Unternehmensberaterin, Ihre Beziehung, Ihr Zuhause. Hatten Sie nicht Angst?

    Ich wusste, dass es spezifische Gefahren geben würde, wenn man als Frau allein unterwegs ist und draußen im Freien in einem Zelt übernachtet. Heute würde ich sagen, dass ich naiv gegenüber diesem Risiko war. Dennoch überwog bei mir der Gedanke, dass ich es am Ende meines Lebens bereuen würde, es nicht zumindest versucht zu haben, mich meinen Ängsten zu stellen und das Abenteuer zu wagen. Das hat mir geholfen, den ersten Schritt zu machen.
  • Gab es Momente während Ihrer Reise, in denen Sie aufgeben wollten? Wenn ja, wie haben Sie sich motiviert, weiterzumachen?

    Ich hatte nie das Gefühl, aufgeben zu wollen, aber es gab Momente, in denen ich meine Motivation verlor. Manchmal brauchte es viel Arbeit mit bzw. an mir selbst und meinem Bewusstsein, um weiterzumachen. Was mir half, war, an all die Schwierigkeiten und Herausforderungen zu denken, mit denen ich in meinem Leben bereits konfrontiert gewesen war. Dabei stellte ich fest, dass ein Sand- oder Schneesturm nicht anders war als einige meiner vorangegangenen persönlichen und beruflichen Herausforderungen. Mit anderen Worten, egal mit welchen Schwierigkeiten ich konfrontiert bin, es liegt an mir, wie ich ihnen begegne. Ich kann mich dafür entscheiden, Überwältigung und Angst das Beste von mir zu blockieren, oder ich kann einen Fuß vor den anderen setzen und mich jeden Moment daran erinnern, dass es sich immer besser anfühlt, trotz meiner Angst vorangekommen zu sein.
  • Chronische Angsterkrankungen lassen oft wenig Spielraum. Was raten Sie Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Geschichte vielleicht weniger Entscheidungsfreiheit haben?

    Ich glaube, was jedem Menschen hilft, ist der Gedanke nicht allein zu sein mit seiner Angst. Es gibt meistens Personen, die Gleiches oder Ähnliches erlebt haben oder erleben wie man selbst. Als ich nach einem gewalttätigen Überfall in der Mongolei einen meiner größten Angstmomente hatte, half mir die imaginäre Gemeinschaft mit Frauen, die ähnliches erlebt haben. Obwohl ich real ganz allein in dieser weiten Steppenlandschaft war, dachte ich an jene Frauen, die nach ähnlichen Erlebnissen den Mut hatten, aufzustehen, ihre Stimme zu erheben und weiterzumachen. Ein Schlüssel zur Überwindung von Angst ist, dass wir uns alle viel mehr Geschichten von Menschen erzählen sollten, die es auf die andere Seite geschafft haben.
  • In Ihrem Edinburgh TED-Talk sagen Sie, dass auch die Bereitschaft, in Bewegung zu bleiben besonders hilfreich war. Sie bezeichnen dies als „heilsame Praxis“, bei der Disziplin, Ausdauer und Geduld eine Rolle spielen. Kann Gehen eine Art von Therapie auch für Menschen mit Angsterkrankungen sein?

    Ich würde Menschen mit Angsterkrankungen nicht unbedingt eine Wanderung rund um die Welt empfehlen, aber ich bin überzeugt davon, dass lange Spaziergänge in der Natur bei Angstzuständen helfen können. Selbst ein 20-minütiger Spaziergang am Morgen macht einen großen Unterschied, wie wir den Tag beginnen. Ich bin außerdem ein großer Fan von beruhigender Atemarbeit (wie abwechselnde Nasenlochatmung) und Solo-Spaziergängen, um das Bewusstsein zu klären und die Lymphe im Körper fließen zu lassen!
  • Merken Sie selbst einen Unterschied zwischen dem aktiven Umgang mit Ihren Ängsten und dem Versuch, diese beiseitezuschieben bzw. zu verdrängen?

    Ja. Es gibt Dinge, die ich tue, um mir bewusst zu machen, dass ich Angst habe, und es gibt Dinge, die ich tue, um dieses Gefühl zu vermeiden oder zu betäuben. Wenn ich versuche, meine Sorgen und Ängste zu umgehen, neige ich dazu, in das typische Verhalten von übermäßigem Essen, Alkoholtrinken und Fernsehen zu kippen, um mich "wegzubeamen". Bin ich mir hingegen bewusst, dass ich gestresst und ängstlich bin, und gehe positive damit um, mache ich Atemarbeit, meditiere und achte auf guten Schlaf.
  • Sie schreiben, dass Sie eigentlich introvertiert sind, und es daher leichter finden, allein in der Natur zu sein als in einer Menschenmenge in der Stadt. Hat Ihre Reise das in irgendeiner Weise geändert? Sie sind heute eine prominente Rednerin ...

    Die Reise hat mein Naturell eigentlich noch verstärkt. Ich beobachte, dass ich noch mehr Zeit für mich allein brauche als zuvor. Ich muss immer wieder soziale Ängste durcharbeiten, besonders an Orten mit Menschenmengen wie Cafés und Lebensmittelgeschäften. Schlaf, Atemarbeit und ein Spaziergang helfen mir sehr!
  • Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass soziale Situationen für Sie schwierig sein können?

    Ich hatte bereits als Kind immer ein wenig Angst, wenn ich zu sozialen Aktivitäten ging. Im Teenageralter bzw. in meinen Zwanzigern war ich allerdings noch auf Konzerten und Partys. Erst nach meiner langen Reise wurde mir bewusst, dass es sich dabei bereits um soziale Ängste gehandelt hatte. Interessanterweise kam diese Erkenntnis dadurch, dass ich auf meiner Reise eine Sache immer wieder spürte: Sobald ich mich einer Stadt oder einem Dorf näherte, begann sich eine diffuse Angst einzuschleichen. Mein ganzer Körper fühlte sich „aufgeregter“ an. Und in dem Moment, in dem ich zurück in die Wildnis und Einsamkeit ging, merkte ich, wie ich mich wieder entspannen und Freude fühlen konnte.
  • Zu guter Letzt, wie war Ihr Leben, seit Sie Ihre Reise beendet haben?

    Ich fand es schwierig, wieder in den normalen Alltag des Gemeinschaftslebens zurückzukehren: Arbeit, Leute zum Essen treffen, einfach die normalen Routinen in einer Gesellschaft waren eine Herausforderung. Ich bin mittlerweile auch mit mir selbst in dieser Situation zufrieden, da ich weiß, dass ich in der Lage bin, besser mit meinen Ängsten umzugehen. Aber der Ruf, wieder allein unterwegs zu sein, ist nach wie vor groß. Ich brauche die Natur, ich brauche Zeit für mich allein, und ich brauche das Gefühl, ins Unbekannte zu gehen – meine Expeditionen machen mir einfach Freude!

    Ms. Maxwell, vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für Ihre Wanderungen!

Angst umlernen –

die Kraft der Psychotherapie

Während Medikamente wie Krücken durch schwierige Zeiten hindurchhelfen, sollen mithilfe der Psychotherapie längerfristig die inneren Programme verändert werden. Welche unterschiedlichen Herangehensweisen es gibt und was Betroffenen helfen kann.
„Die Zeiten, als sich analytischer Zugang und Verhaltenstherapie wesentlich unterschieden, sind vorbei“, sagt Hans Morschitzky, Verhaltenstherapeut aus Linz und Autor zahlreicher Bücher zum Thema Angsterkrankungen. Zwar sei es nach wie vor so, dass analytisch orientierte Therapeuten mehr bei der Ursachenforschung ansetzen würden, dennoch würde heute kein Verhaltenstherapeut mehr die Vergangenheit ausklammern, so Morschitzky. „Gute Therapeuten arbeiten alle recht ähnlich“, sagt der Fachmann. In der Tat sind sich die meisten Psychotherapeuten heute einig, dass es für den Erfolg einer Therapie in erster Linie die stimmige Beziehung zwischen Therapeuten und Klienten braucht. Wer sich zum Erstgespräch entscheidet, tut also gut daran, beim Kennenlernen auf das eigene Bauchgefühl zu hören. „Ein Klient muss sich in erster Linie wohlfühlen bei seinem Therapeuten“, sagt auch die analytische Psychotherapeutin Sabine Sammer-Schreckenthaler.

Ursachenforschung und Psychoedukation

Und doch erwarten Klienten bei Hans Morschitzky und Sabine Sammer-Schreckenthaler möglicherweise unterschiedliche Herangehensweisen. „Verhaltenstherapeuten gehen sehr strukturiert nach Plan vor“, sagt Morschitzky. „Wir versuchen das Problem mit dem Klienten zu analysieren, etwa seine Angst, um danach die geeigneten Schritte zu planen.“ In seiner Praxis gehe es also viel um Psychoedukation. Dies bedeute, den Betroffenen konkrete Hilfsmittel für schwierige Situationen an die Hand zu geben.

Tiefenpsychologische Schulen versuchen mit ihren Klienten zuerst an die Wurzeln der Angst zu kommen, ein Prozess, der viele Jahre in Anspruch nehmen kann. „Im Gespräch umkreisen wir die Angst immer wieder und versuchen uns auch der Angst-Geschichte einer Klientin anzunähern“, sagt Sabine Sammer-Schreckenthaler. Egal welche Richtung ein Klient aber letztlich wählt, „man kommt nicht darum herum, sich der Angst auch real zu stellen“, weiß die Analytikerin.

Freude ist die stärkste Medizin

Um dies zu ermöglichen, braucht es häufig längere Vorarbeit, sagt Hans Morschitzky. „Der Grund dafür, etwas zu tun, muss schwerer wiegen als die Angst“, so der Therapeut und fügt hinzu: „Freude ist die stärkste Medizin gegen Angst.“ Der Fachmann würde daher häufig mit seinen Klienten daran arbeiten, innere Bilder der Vorfreude, Neugier und Begeisterung zu entwickeln. „Wenn ein Mensch sich zum Beispiel vor einer Vortragssituation fürchtet, hilft es, sich zuerst seine destruktiven inneren Bilder anzusehen und danach andere, positive entstehen zu lassen.“ Wer etwa weiß, warum er einen Auftritt bestreiten möchte, und anstatt der Katastrophe des Vortrags ein inneres Bild der eigenen Kompetenz entwickeln kann, hat schon viel gewonnen.

Gemeinsam stark gegen die Angst

Angsterkrankungen verändern Menschen; sie haben aber nicht nur enorme Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, auch für die Angehörigen kann der Alltag zum Spießrutenlauf werden, wenn Mama sich auf einmal nicht mehr zum Einkauf traut oder Papa Schweißausbrüche vor der Arbeit bekommt. Welche Rolle spielen Angehörige im Alltag von Menschen mit Angsterkrankungen konkret?
Wenn Paula Maché (Name von der Red. geändert) die eigene Wohnung betritt, greift sie routinemäßig zum Desinfektionsmittel, das gleich neben der Tür steht. Das Reinigen der Hände ist nur eines von mehreren Ritualen, das die vierköpfige Familie aus Wien im Alltag begleitet. Machés Mann leidet schon seit längerem an einer Angsterkrankung, ein Teil davon ist die Sorge, sich mit Krankheiten anzustecken.

Maché ist eine von vielen Klientinnen, die Kerstin Muff, existenzanalytische Psychotherapeutin i.A.u.S. aus Wien betreut. Rund zwei Drittel der Hilfesuchenden, die zu ihr kommen, haben Ängste zum Thema, manche auch als Angehörige, so wie Paula Maché. Wie viele wusste die 40-jährige Mutter zweier Kinder im Volksschulalter lange nicht, was es mit dem besonderen Verhalten ihres Mannes auf sich hatte, denn die Veränderungen waren schleichend.

Auch Angehörige brauchen Mut, sich Unterstützung zu suchen

Über viele Monate trug die Familie die Situation mit. Ohne groß nachzudenken wurde der Desinfektionsspender aufgestellt, regelmäßige Händewaschrituale vereinbart und ein neuer besonders intensiver Staubsauger angeschafft – doch immer mehr Verbote und Regeln begannen den Alltag einzuschränken. So lange, bis Maché sich selbst in der Therapie bei Muff Unterstützung suchte. Dies verlangte ihr viel Mut ab, denn nach außen schienen die Machés bis dahin die perfekte Familie zu sein.
„Es ist typisch, dass viele Angehörige zuerst versuchen, bei schwierigen Verhaltensweisen ihres Partners oder der Partnerin zu viel zu unterstützen. Bei sozialen Ängsten kann das z.B. bedeuten, dass man beginnt den Betroffenen sämtliche Einkäufe abzunehmen“, erklärt Muff. Obwohl Angehörige eine unschätzbare Ressource für Betroffene seien, will die Form der Unterstützung gut überlegt sein. „Es geht darum, die Bevormundung der Betroffenen zu vermeiden und nicht selbst in eine Co-Abhängigkeit zu geraten“, so Muff.

Raus aus der Überforderungsfalle

Auch Maché hat durch die Gespräche in der Therapie erst gelernt, immer wieder nachzuspüren, wo und wie sie Halt geben kann, bzw. wann die eigene Grenze erreicht ist. Früher drohte Maché ihrem Mann häufig mit Trennung, auch wenn sie ihn eigentlich liebte. „Sind Angehörige überfordert, macht das auch den Betroffenen Druck. Sie können daher in der Selbsterfahrung lernen, mehr mit sich selbst in Kontakt zu treten, um erst gar nicht an diesen Punkt zu kommen“, sagt Muff. Menschen mit Angsterkrankungen zu begleiten ist mehr Marathon als Sprint. Das richtige Einteilen der eigenen Energie sei daher wesentlich.
Unterstützung bedeutet auch den Einbezug von Helfersystemen, wie psychiatrische Versorgung und das Einholen von Informationen zur Symptomatik. Das kann auch einfach in der Apotheke ums Eck sein. „Für die Betroffenen ist es vor allem wichtig, dass ihre Erkrankung als solche gesehen und ernst genommen wird.“ Besonders schädlich sei daher ein Umfeld, in dem Sätze fallen wie „Stell dich doch nicht so an“ oder „Da kann doch nichts passieren“. Dies verunsichert Menschen, die ihre Ängste als reale Bedrohung erleben, zusätzlich. Das hat auch Paula Maché in der Therapie gelernt. Sie ist mittlerweile Expertin für die Erkrankung ihres Mannes und leiht ihm ein Ohr, wann immer es möglich ist. Manchmal geht sie aber auch einfach eine Runde in den Park mit den Kindern oder trinkt einen Kaffee mit der besten Freundin. Gemeinsam sind sie und ihr Mann auf einem guten Weg.

Ursachenforschung und Psychoedukation

Und doch erwarten Klienten bei Hans Morschitzky und Sabine Schreckenthaler möglicherweise unterschiedliche Herangehensweisen. „Verhaltenstherapeuten gehen zumeist sehr strukturiert nach Plan vor“, sagt Morschitzky. „Wir versuchen das Problem mit dem Klienten zu analysieren, etwa seine Angst, um danach die geeigneten Schritte zu planen.“ In seiner Praxis gehe es also viel um Psychoedukation. Dies bedeute, den Betroffenen konkrete Hilfsmittel für schwierige Situationen an die Hand zu geben. „Ich erkläre Menschen, wie sie zum Beispiel in der Panikattacke am besten klarkommen. Das heißt: Bleiben Sie ruhig, machen Sie Bewegung, um das Adrenalin abzubauen, lenken Sie die Aufmerksamkeit auf Ihre Umwelt und wehren Sie sich nicht.“ Tiefenpsychologische Schulen versuchen mit ihren Klienten zuerst an die Wurzeln der Angst zu kommen, ein Prozess, der viele Jahre in Anspruch nehmen kann. „Im Gespräch umkreisen wir die Angst immer wieder und versuchen uns auch der Angst-Geschichte einer Klientin anzunähren“, sagt Sabine Schreckenthaler. Egal welche Richtung ein Klient aber letztlich wählt, „man kommt nicht darum herum, sich der Angst auch real zu stellen“, weiß die Analytikerin.

Freude ist die stärkste Medizin

Um dies zu ermöglichen, braucht es häufig längere Vorarbeit, sagt Hans Morschitzky. „Der Grund dafür, etwas zu tun, muss schwerer wiegen, als die Angst“, so der Therapeut und fügt hinzu: „Freude ist die stärkste Medizin gegen Angst.“ Der Fachmann würde daher häufig mit seinen Klienten daran arbeiten, innere Bilder der Vorfreude, Neugier und Begeisterung zu entwickeln. „Wenn ein Mensch sich zum Beispiel vor einer Vortragssituation fürchtet, hilft es, sich zuerst seine destruktiven inneren Bilder anzusehen und danach andere, positive entstehen zu lassen.“ Wer etwa weiß, warum er einen Auftritt bestreiten möchte und anstatt der Katastrophe des Vortrags ein inneres Bild der eigenen Kompetenz entwickeln kann, hat schon viel gewonnen.

Dem Körper die Angst nehmen

Da die negativen Gefühle bei Menschen mit „Angst-Biografien“ in den Körper eingebrannt seien, wäre es von besonderer Bedeutung, neue Erfahrungen zu machen. „Früher sprachen wir von Umlernen, heute gehen wir davon aus, dass es sich um ein Neulernen handelt, das alte Bahnen im Gehirn überschreibt“, sagt der Psychologe Morschitzky. Das Neue möglichst oft tun, heißt daher sein Credo. Dieses Vorgehen wird mittlerweile auch durch die Hirnforschung gestützt. „Ich sehe Angst wesentlich als ein Stressphänomen“, sagt Morschitzky, „bei dem Adrenalin, Noradrenalin oder Cortisol ausgeschüttet werden.“ Um dem auf neurobiologischer Ebene etwas entgegenzusetzen, brauche es Dopamin oder das Bindungshormon Oxytocin. Daher sei es häufig auch ratsam, angstbesetzte Dinge mit anderen gemeinsam zu tun, so Morschitzky. „Wenn Sie Angst haben zu verreisen, machen Sie eine Zugfahrt gemeinsam mit einem guten Freund. Schaffen Sie es, schüttet Ihr Körper nicht nur Dopamin aus, sondern – aufgrund der geteilten Freude – auch Oxytocin.“

Freude, Flow und Selbstvertrauen

Zuletzt geht es in jeder Psychotherapie auch darum, „längerfristig das Selbstvertrauen wieder aufzubauen“, weiß Sabine Sammer-Schreckenthaler, denn viele Betroffene würden sich durch die jahrelangen Einschränkungen schwach und unzulänglich fühlen. „Es geht darum zu lernen, dass man auch mit der Erkrankung ein wertvoller Mensch ist“, sagt die Expertin. Doch wie gelingt das? Freude und „Flow-Erlebnisse“ sind zwei Ansatzpunkte. Um derartige Erlebnisse zu festigen, lohnt es sich, ein Glückstagebuch zu führen. Und: „Jeder Mensch kann sich Gutes tun. Es reicht, einmal am Tag eine halbe Stunde an der frischen Luft spazieren zu gehen, Yoga zu machen oder mit Freunden zu sprechen“, sagt Sammer-Schreckenthaler.